Bericht der Sommertagung vom 1. Juni 2023

Ist der Aargau als Standortkanton attraktiv?

(ef) Dieser Frage gingen am Donnerstagabend die Freisinnigen des Kantons Aargau an ihrer Sommertagung im Kulturhaus Rain in Kleindöttingen nach. Viele Jahre war das Schloss Böttstein Tagungsort. Seit der Schliessung wurde der Anlass in den architektonisch einmaligen Saal im Kulturhaus Rain verlegt. Besprochen wird an der Tagung jeweils ein aktuelles politisches Thema. In diesem Jahr stand die Standortattraktivität, ein wichtiges Kriterium bei der Ansiedlung von Firmen und damit Schaffung von Arbeitsplätzen und Steuereinahmen, im Fokus. Bei der Begrüssung begründete Parteipräsidentin Sabina Freiermuth, die Themenwahl. Der Regierungsrat habe sich im Entwicklungsleitbild für eine Erhöhung der Standortattraktivität ausgesprochen. Für die FDP Aargau gehöre das Thema zu den Kernthemen. Ziel der Tagung sei, das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Dazu eingeladen waren Beat Bechtold, Direktor der AIHK und Roland Schürmann, COO Bachem AG. Die beiden zeigten in ihrem Impulsreferat auf, welche Faktoren für den Standortentscheid wichtig sind. In der anschliessenden Podiumsdiskussion, moderiert von Grossrat Gabriel Lüthy, vertieften die beiden Referenten zusammen mit Gross- und Gemeinderätin und Vizepräsidentin FDP Aargau, Claudia Hauser das Thema aus regionaler, kantonaler und internationaler Sicht. Nach dem geschäftlichen Teil folgte der gemütliche bei Bier und Wurst. An den Stehtischen wurde das Thema weiter vertieft aber auch persönliche Erfahrungen ausgetauscht.

AIHK, engagiert für Aargauer Unternehmen

Beat Bechtold sprach zuerst über die Aufgaben der AIHK. Sie engagiert sich für Aargauer Unternehmen, verkörpert die Stimme der Wirtschaft, organisiert Netzwerke und Veranstaltungen, bietet Rechtsberatung und Exportdienstleistungen, unterstützt beim Zugang zum Know-how der FHNW und betreibt eine AHV-Ausgleichs- und Familienausgleichskasse. Bechtold zeigte auf, dass der Aargau ein ausgeprägter Industrie- und Exportkanton ist. Der Anteil des produzierenden Sektors sei überdurchschnittlich. In Bezug auf das Exportvolumen stehe der Kanton hinter Basel-Stadt, Neuenburg, Genf und Bern an fünfter Stelle, noch vor Zürich und Zug. Die Wirtschaftsumfrage zeige für 2023 ein zuversichtliches, wenn auch etwas schlechteres Bild als 2022. Zeit zum Ausruhen gebe es nicht. Zudem könnte das positive Resultat durch die düsteren Prognosen aus Deutschland und den Fachkräftemangel noch etwas eingetrübt werden.

Kriterien zur Standortqualität

Zur Standortqualität zählen für den AIHK-Direktor eine konsequente Ordnungspolitik. Dazu gehöre, dass der freie Wettbewerb spielt, weniger staatliche Vorschriften und mehr unternehmerische Freiheiten, ein offener Markt, eine internationale Zusammenarbeit, Schutz des Eigentumsrechtes, Internalisierung von externen Kosten mit Lenkungsabgaben und nicht mit Verboten oder Subventionen sowie politische Stabilität und Verlässlichkeit. In diesem Zusammenhang beurteilt Bechtold die Anwendung von Notrecht äusserst kritisch. Zu den wichtigen Faktoren zählt auch die Steuerbelastung, sowohl für Firmen wie auch Private. In diesem Sinne wird auch, wie Sabina Freiermuth in der Einleitung zur Tagung bereits erwähnte, die vom Regierungsrat in die Vernehmlassung geschickte Steuerrevision 2025 von der FDP begrüsst. Wichtig sei auch eine stabile, verlässliche und soweit möglich kostengünstige Energieversorgung. Ein Notkraftwerk wie Birr sei nur eine kurzfristige Lösung. Was es brauche sei der rasche Zubau von Produktionskapazitäten. Dieser Zubau dürfe nicht durch Einsprachen unnötig verzögert werden. Was es ebenfalls brauche sei Technologieoffenheit. Zwischen Markt und Staat müssen klare Grenzen gesetzt werden. Innovation ist Sache der Privatwirtschaft betonte Bechtold und bezweifelt, dass staatliche Stellen besser wissen, wie ein Unternehmen innovativ sein kann.

Bericht aus der Praxis

Über praktische Erfahrungen bei der Ansiedlung einer Firma berichtete Roland Schürmann. Er ist COO der Firma Bachem, ein führendes Unternehmen, welches pharmazeutische Wirkstoffe herstellt. Die Firma plant ein neues Werk im Sisslerfeld, das 2029 in Betrieb gehen soll. Auf 155’000 m2 entsteht ein eigenständiges Produktionswerk mit bis zu 3'000 Arbeitsplätzen mit Qualitätskontrolle, Logistik und relevanten Services zur Produktion von Peptiden und Oligonukleotiden im grossen Massstab. Als Schlüsselkriterien bei der Wahl des Standortes galten: Finanzen und Steuern, Politik, Recht, Umwelt, Arbeitsmarkt, Bau und Instandhaltung, betriebliche Effizienz und Zuverlässigkeit, geografische Lage und Infrastruktur, Kundennähe sowie das akademisches Umfeld. Als Kriterien für das Standortobjekt galten der Net Present Value (Nettobarwert), die steuerliche Situation, ein mehrgeschossiger Gebäudestandard, die Verfügbarkeit von Versorgungseinrichtungen (Strom, Wasser, Energie, Gas), vorhandene Dienstleistungen (Wartung, Sicherheit, Feuerwehr), der Zugang für Mitarbeitende, die Anbindung (Straße, Flughafen, Eisenbahn), die Nähe zum Logistikzentrum, die Nähe zu Bio-/Pharmatech-geschulten Lieferanten und die Attraktivität der Region. Schürmann zeigte den Entscheidungsweg zur Standortwahl Sisslerfeld und machte auch einen Vergleich mit den Standorten in den USA. Aus der Standortwahl kam der Referenten zu folgenden Erkenntnissen:  1. Der Standort Schweiz ist international wettbewerbsfähig, aber kein Selbstläufer.  - 2. Unternehmen werden ihre Möglichkeiten immer genau prüfen. Bund und Kantone müssen ihre Standortvorteile weiter pflegen. - 3. Was zählt ist das Zusammenwirken der Standortfaktoren über mehrere Ebenen: Bund-Kanton/Gemeinde-Investitionsobjekt. - 4. Der Aargau profitiert von der Einbettung in übergeordnete Grossräume.

Zu lange Verfahrensdauer

In der Diskussionsrunde wurden die unterschiedlichen Bedürfnisse der regionalen, kantonalen und internationalen Ebene herausgeschält. Zur Sprache kam die Währungssituation mit dem starken Franken, die Situation auf dem Arbeitsmarkt aber auch Thema Bürokratie.  Ein Problem sieht sowohl Claudia Hauser wie auch Beat Bechtold bei der Länge der Bewilligungsverfahren. Claudia Hauser erachtet auch die vielen auszufüllenden Formulare, insbesondere für KMU, als stossend. Auf Gemeindeebene plädiert sie für ein miteinander und ein Verlassen des «Gärtlidenkens». Vom Kanton erwartet sie, dass er Rahmenbedingungen schafft, damit die Verfahren schneller abgewickelt werden können. Beat Bechtold sprach von einem guten Zugang zu den Behörden. Als stossend empfindet er die meist in der BNO niedergeschriebenen Einschränkungen für Transport- und Logistikunternehmen. Für Schürmann ist eine gute Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung und der Kantonalbehörde essentiell. Aus seinen Erfahrungen wichtig ist, für ein Projekt nur einen Ansprechpartner zu haben. Angeregt wurde auch eine bessere Nutzung der Innovationen des PSI. Diesbezüglich hofft Bechtold auf den Park Innovaare. Unnötig finden alle drei Podiumsteilnehmer die staatliche Betreuung ansässiger Firmen wie sie mit dem Standortförderungsgesetz angedacht ist.