Was braucht es für eine gute Volksschule?

Bericht der Rheinfeldeertagung vom 4. November 2023

(ef) Die Rheinfeldertagung der FDP Aargau, ein Anlass, bei welchem jeweils ein aktuelles Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird, widmete sich in diesem Jahr der Frage: Was braucht es für eine gute Volkschule“. Regierungsrat Alex Hürzeler, Bildungsdirektor, Astrid Zeiner Schulleiterin und Urs Widmer, Geschäftsleiter Aargauischer Gewerbeverband, legten ihre Sicht zum Thema dar. Im Anschluss wurden bei einem Podiumsgespräch mit den drei Referenten und Jeanine Glarner, Grossrätin und Gemeindeamman Möriken-Wildegg, die verschiedenen Anforderungen an die Volksschule, zusammen mit den Anwesenden, vertieft diskutiert. Moderiert wurde die Diskussion von Titus Meier, Grossrat und Präsident der Kommission Bildung, Kultur und Sport sowie Ressortleiter Bildung der FDP Aargau,

Einfaches Rezept gibt es nicht.

Volksbildung ist Volksfreiheit und ohne eine gute und gesunde Volksschule fehlen der Wirtschaft die entsprechend ausgebildeten Leute. Wie vielfältig und komplex die Thematik ist, wie unterschiedlich die Ansprüche der verschiedenen Akteure (Kind, Eltern, Lehrerschaft, Wirtschaft) sind und wie eng die Volkschule mit der gesellschaftlichen Entwicklung verknüpft ist, zeigte die Tagung deutlich. Ein einfaches Rezept gibt es wohl nicht.

Veränderungen brauchen Zeit

2015 besuchten im Aargau rund 73‘000 Kinder die Volksschule. 2023 sind es nahezu 82‘000. In diesen Zahlen nicht eingerechnet sind die rund 2 Prozent Kinder, welche in Privatschulen oder mit Home-schooling unterrichtet würden. Aufgrund der Prognosen könne, so Bildungsdirektor Alex Hürzeler, mit einem ungebrochenen Wachstum gerechnet werden. Diese Entwicklung führe in den Gemeinden zu Schulraumproblemen und zu zusätzlichem Mangel an Lehrpersonen. Der Auftrag der Volksschule sei, junge Leute als freie und verantwortungsbewusste Mitmenschen auszubilden, welche in unserer Gesellschaft leben, sie mitgestalten und Verantwortung übernehmen können. Beeinflusst würden die Erwartungen an die Volksschule von gesellschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen. Die Politik setze um, was die Gesellschaft verlange. Veränderungen habe es immer gegeben. Die Volkschule verglich er mit einem Kreuzfahrtschiff. Den Kurs zu ändern, brauche Zeit. Änderungen müssten durchgedacht werden und nach dem Beschluss gehe es eine Weile, bis der Dampfer auf dem neuen Kurs sei. Zum Gelingen müssten alle Akteure zusammenarbeiten.

Aktuelle Herausforderungen

Bildungsdirektor Hürzeler sprach von den aktuellen Herausforderungen der Volkschule. Dazu gehören die immer grösser werdende Zahl an verhaltensauffälligen Kindern, Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen, nicht nur bei Ausländern, sondern auch Schweizern, der sich verschlechternde psychische Gesundheitszustand sowie der gestiegene Druck auf die Lehrpersonen. Was die Volkschule brauche, sei ein Bekenntnis zur Volksschule, realistische Erwartungen von allen Seiten, möglichst viel Kompetenzen vor Ort, eine funktionierende Schulführung und kompetente Lehrpersonen und Mitarbeitende. Alex Hürzeler nannte auch die Entwicklungsschwerpunkte, welche derzeit die Regierung und das Parlament beschäftigen

Erfahrungen aus dem Alltag

Astrid Zeiner, Schulleiterin an der Sekundar- und Realschule Möhlin, sprach in ihrem Referat von den Erwartungen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen und legte die Sicht aus dem Schulalltag dar. Ihre Ausführungen galten aber auch den Aufgaben und Problemen, mit welcher eine Schulleitung tag täglich konfrontiert ist. Ihre Thesen: Kinder sollen freudvoll lernen dürfen, Eltern wollen für ihre Kinder nur das Beste, Lehrpersonen haben einen Bildungsauftrag, Behörden sind in der Pflicht und die Wirtschaft hat zunehmend höhere Ansprüche belegte sie mit Beispielen aus der Praxis. Im Schulalltag spürbar und auch zu beachten sei der gesellschaftliche Druck, die Klimaveränderung, die Gesundheitsveränderung, Kriege aber auch die Auswirkungen der sozialen Medien. Kritisch beurteilt die Referentin den von Eltern durch zu hohe Erwartungen erzeugten Druck auf die Kinder. Wichtig sei nicht ob das Kind mit der Real-, Sekundar- oder Bezirksschule abschliessen, sondern, dass sie kompetente und verantwortungsvolle junge Menschen würden. Eltern würden sich zu wenig mit der Frage „Was will mein Kind“ auseinandersetzten. Mit Beispielen verdeutlichte Astrid Zeiner die Folgen von zu hohen Erwartungen auf das Verhältnis Kind, Eltern, Lehrperson und dem daraus entstehenden Teufelskreis.     

Erwartungen der Wirtschaft

Urs Widmer, Geschäftsführer Aargauischer Gewerbeverband sprach über die Anforderungen und Erwartungen der Wirtschaft an die Volkschule. Urs Widmer ist nicht nur Geschäftsführer AGV, sondern auch in verschiedenen anderen ausbildungsnahen Organisationen wie beispielsweise als OK Präsident der Berufsschau 2023 tätig. Das Gewerbe sei auf gut ausgebildete Jugendliche angewiesen. Berufliche Orientierung sei ein Fach im Lehrplan 21. Leider stelle er fest, dass dieser Punkt, insbesondere in vielen Bezirksschulen, nur ungenügend erfüllt werde. Aus seiner Sicht sind die aus der Volkschule mitgebrachten Kompetenzen ungenügend, Deutsch- und Mathematikkenntnisse mangelhaft und die psychische Widerstandsfähigkeit gesunken. Er stelle fest, dass die berufliche Orientierung (Berufswahl) stark von der Schulstufe und der Lehrperson abhängig sei. In diesem Zusammenhang fordert der AGV, dass „Schule trifft Wirtschaft“ flächendeckend eingeführt werde. Die Leistungskultur werde zunehmend durch eine Gleichstellungskultur ersetzt. Im heutigen Schulsystem würden selbst Durchschnittsbegabte benachteiligt. Lehrpersonen würden zunehmend mit Erziehungs- statt mit Bildungsaufgaben konfrontiert. Aus Sicht des AGV ist die integrative Schule gescheitert. Der AGV fordert eine Anpassung der Ausbildung für Lehrpersonen um die Berufslehre bei der beruflichen Orientierung zu stärken.

Interessante Diskussion

Im Verlauf der Podiumsdiskussion wurden die verschiedenen Thesen teilweise kontrovers diskutiert. In Frage gestellt wurden die in den letzten Jahren eingeführten Reformen. Regierungsrat Hürzeler entgegnete, dass nur das eingeführt wurde, was von der Gesellschaft auch verlangt wurde. Diskutiert wurde über die Rolle der Privatschulen die Attraktivität von Schnupperlehren, die Erwartungen an den Gemeinderat, die Vielfallt der Berufsbilder, notwendige Anpassungen bei den Lernbetrieben, Integrative Schule und einiges mehr. Zum Abschluss der interessanten Diskussionsrunde, in welcher fast ausschliesslich über Schwächen diskutiert wurden, hielt Sabina Freiermuth fest, dass in den Aargauer Schulen von engagierten Lehrpersonen auch sehr viel gute Arbeit geleistet werde.

 

(Foto Damian Moor)